Diese Ausstellung trägt den listigen Titel „Die Ruhe nach dem Sturm“
Pit Kinzer galt früher - im vorigen Jahrhundert - als sozialkritischer
AufdenPutzhauer, auch und gerade hier in Augsburg. Heute wirkt er als arrivierter
Künstler, Galerist und Kultur- & Kommunikationsmacher im ländlichen
Raum, namentlich in Markt Rettenbach im Unterallgäu. 1951 im Allgäu
geboren, kam Pit Kinzer 1972 nach Augsburg, studierte Architektur, machte
Musik von Tanzkapelle bis Freejazz, war Mitarbeiter der ersten Augsburger
Stadtzeitung, gab eine Zeitschrift für Literatur und Kunst heraus, mit
der er den Augsburger Kunstförderpreis bekam, schrieb einen Roman, zeichnete,
radierte, erhielt auch dafür den Augsburger Kunstförderpreis, wurde
„Tausendsassa“ (Jan Prein) oder „Alternativer Kulturpapst“
(Bayerischer Rundfunk) oder „Multidilettant“ (er selbst) genannt.
Er stellte hier überall aus von „Kellergalerie“ bis „Treppenhausgalerie“,
ging dann zuerst kurz vor die Tore der Stadt auf Land und dann 1995 ganz weg,
zurück ins Allgäu. Vor ziemlich genau zehn Jahren hatte er seine
letzte Augsburger Einzelausstellung im Kulturesk und seitdem waren die Arbeiten
in Augsburg nur bei der Großen Schwäbischen oder zweimal bei Ausstellungen
zum Schwäbischen Kunstpreis zu sehen, den er allerdings bislang nicht
bekam.
Der Ausstellungstitel führt in die Irre: Pit Kinzer ist keineswegs brav
geworden, auch wenn er vorgibt, ganz entspannte Bilder zu machen.
Richtiger lautete der Titel wohl: die scheinbare Ruhe nach einem wahren Sturm
oder Die beunruhigende Wortlosigkeit während eines Sturmes, der einen
Kilometer entfernt Bäume entwurzelt und Frauen in die Luft wirbelt.
Kinzer druckt und fotografiert - seine Bilder wirken monochrom, ruhig, planvoll,
ausgewogen. Den Inhalt seiner Kunst will er nicht benennen. Kinzer hält
es gerne mit Goethe, der da empfahl: „Bilde, Künstler, Rede nicht!“
Das Thema also müsse der Betrachter, die Betrachterin schon selbst erkennen.
Kinzer weiß genau, was er will, aber er lässt den Zufall mitspielen.
Das Gelingen ist nicht immer kalkulierbar, wird durch rigide Auswahl aber
streng definiert. Und dieses Vorgehen macht seine Arbeit sehr spannend.
Pit Kinzer zeigt in dieser Ausstellung zwei Materialserien, die er parallel
fortentwickelt.
Es sind Blätter mit dem schönen Namen „Holzbilder“ und
seine inzwischen schon berühmten Foto-Digitaldrucke mit vieldeutigen
Titeln in einem unnachahmlichen Blau. Von der Radierung kommend, besitzt Kinzer
in der Druckgrafik sein ureigenstes Medium, das er individuell innovativ einsetzt.
Als Architekt bildete er früher Architekturen ab, südliche Fassaden,
morbide Oberflächen, die er zunehmend als eigenständige Reliefs
verstand. Risse, Linien, Löcher, Flecken, Striche - ihre Bedeutung wuchs
mit ihrer Dominanz in der Bildfläche. Hintergrund entwickelte er zu Vordergrund.
Die starke Bearbeitung lässt sich oft an der Blattstärke, an einer
besonderen Spannung der Bögen und an ihrer speziellen Haptik fühlen.
Überdrucken, Übermalen, Überarbeiten lässt die Papiere
teils wie Lederhäute stehen. Sie beinhalten und dokumentieren ihre eigene
Entstehungsgeschichte, sodass die Papiere selbst beinahe skulptural wirken,
zumal sie in den neuesten Arbeiten auf Keilrahmen aufgezogen zu Wandobjekten
entwickelt sind. Kinzer fertigt Holzschnitte, wobei er das Holz nicht beschnitzt,
sondern sehr sensibel einschneidet, ritzt oder gar vorhandene Schneidespuren
auf alten Arbeitsunterlagen als Druckstock weiterverwendet, was mentalitätsperspektivisch
vielleicht ein bisschen schwäbisch wirkt. Teilweise dürfen Hartfaserplatten,
die annähernd eine Leinenstruktur aufweisen, teilweise mit durchaus erwünschten
Beschädigungen wie einer abgebrochenen Kante oder einem Bruch, unbearbeitet
Verwendung finden. Holzdrucke nennt Kinzer die Ergebnisse, einfach Holzdrucke,
das klingt so simpel und vertraut wie der Herstellungsprozess auch erscheint.
Die Leichtigkeit indes trügt. Kinzers Kunst basiert auf souveränem
Können. Das Vermeiden der Manipulation im Sinne von Akzentuierung von
Strukturen geschieht sehr konzentriert. Die weitmögliche Minimierung
des künstlerischen Eingriffs kennzeichnet Kinzers Vorgehen im Druck wie
in der Fotografie. Immer weniger beeinflusst er die Welt, akzeptiert ihre
Bilder und interveniert durch Auswahl. Die Zeit stoppt. Die Motive bleiben
als Ahnung bestehen. Kinzers Thema ist die verklärte Wirklichkeit, aber
die Wirklichkeit. Seine Kunst diskutiert Raum und Zeit.
Kinzer selbst erklärt es dann doch folgendermaßen: „Früher
konnte ich die Frage nach meinem zentralen Thema leicht beantworten. Mittelpunkt
meiner Bilder war der Mensch. Aber heute?“ Und dann setzt er schmunzelnd
hinzu: „Jetzt ist eigentlich gar nichts mehr drauf.“ Es ist genug
drauf.
Für einen seiner Fotodigitaldrucke, die Arbeit „Amsterdamned 03/08“, wurde Pit Kinzer in der 53. Kunstausstellung zur Allgäuer Festwoche in Kempten, 2002, mit dem Alfred-Oberpaur-Kunstpreis ausgezeichnet. Der Titel enthält ein für ihn charakteristisches Wortspiel: Amsterdamned - verdammt und Amsterdam. Immer wieder scheint Kinzers Verwurzelung in der Literatur auch in seiner Bildenden Kunst auf. Die Jury würdigte ihn als Meister der subtilen Atmosphäre. Er führt sein Publikum auf eine Spur von Assoziationen. Es ist höchst interessant, in die Bilder von Pit Kinzer einzutauchen. Vordergründig sieht man eine ruhige Grafik in Blautönen. Diese scheinbare Ruhe wird irritierend gestört durch eine Tiefe und Dichte, die er raffiniert erzeugt. Der Werkprozess lässt sich technisch leicht verstehen: es ist ein fotografisches Verfahren. Es handelt sich „nur“ um Fotografien, die in ihrer Stimmung an Filme erinnern wie „Das Boot“ oder „Casablanca“. Die Darstellung bewegt sich auf der Grenze zwischen Abbild und Abstraktion. Sie beinhaltet nur Gegenständliches, löst es indes in Stimmung, in eine Landschaft mit vielschichtiger Atmosphäre und großer poetischer Qualität auf. Die Bilder wirken menschenleer, sie lassen jedoch Zivilisation und menschliche Existenz komplex sinnlich wirksam werden. Wir entdecken unsere Umwelt und unsere Traumwelt gleichermaßen in den Tiefen der Kinzer‘schen Mysterienbilder.
Der Meister des Wortspiels, der Literat, offenbart sich auch im Serientitel
für die Holzbilder, welcher lautet: Calmouflage - aus calme und camouflage
- also ruhig und Täuschung, Tarnung, Irreführung. Da darf man sich
ruhig täuschen lassen, oder versuchen, es zu vermeiden. Die Grenzen in
Kinzers Kunst sind nicht zu ergründen.
Dabei ist festzustellen: „Calmouflage“ als Titel dient selbst
der Täuschung und weniger der Hilfestellung. Die Magie lässt sich
schwer dechiffrieren, weil die prickelnde Unruhe der Bilder in den Betrachtern/innen
ihr Echo findet. Die Stille kann der moderne Mensch kaum mehr ertragen. Im
bildnerischen Konzept nimmt das Publikum somit einen erheblichen Platz ein.
Wir alle sind Teil des künstlerischen Kalküls.
Wie schön - und wie beunruhigend!